Expertenblog

    Praktische Bedeutung der Taxonomie-Verordnung für die Immobilienbranche


    Die Taxonomie-Verordnung ist Teil der europäischen ESG-Regulierung. ESG steht für Environment, Social and Governance. Die ESG-Regulierung der EU bezweckt im Kern die Förderung des Klima- und Umweltschutzes sowie der gesellschaftlichen Nachhaltigkeit (z.B. Arbeitnehmerrechte, Nachhaltigkeit bei Lieferketten) und unternehmerischen Verantwortung (z.B. Verhinderung von Korruption). Die zur Erreichung dieser Ziele zunächst nur von staatlicher Seite getätigten Investitionen reichen dabei jedoch für die mittelfristige Verwirklichung der Ziele nicht aus, sodass nunmehr vermehrt das – ungemein größere – Potential privatwirtschaftlicher Geldflüsse zur Finanzierung nachhaltiger Wirtschaftstätigkeit nutzbar gemacht wird.

    Die „Umlenkung“ des am Markt vorhandenen Kapitals erfolgt dabei auf drei Ebenen:

    Ebene 1 (Anleger): Der stark gewachsenen Nachfrage nach nachhaltigen Geldanlagen soll mit verlässlichen, zugänglichen Informationen begegnet werden, damit die Anleger Produkte vergleichen und sich entsprechend ihrer Präferenzen für ein nachhaltiges Anlageprodukt entscheiden können.

    Ebene 2 (Finanzprodukt): Auf Seiten der Anbieter von Finanzprodukten soll die verstärkte Nachfrage und Vergleichbarkeit zu einem breiteren Angebot bspw. an nachhaltigen Fondsprodukten (z.B. Immobilienfonds) führen.

    Ebene 3 (Projektentwickler und Immobilie): Durch die Schaffung solcher Angebote sollen bspw. Projektentwickler und Produkthersteller incentiviert werden, nachhaltige Immobilienprojekte zu entwickeln bzw. nachhaltige Bauprodukte herzustellen, um für eine Finanzierung durch bspw. nachhaltige Immobilienfonds in Betracht zu kommen.

    Zu diesem Zweck wurden in den letzten Jahren eigenständige ESG-Verordnungen und -Richtlinien erlassen und bestehende Regulierung entsprechend angepasst. Zentrales Element ist die Taxonomie-Verordnung (EU) 2020/2022, welche zugleich als Basis für alle anderen Regularien der Umwandlung zu einer grüneren Wirtschaft dient.

    Was regelt die Taxonomie-Verordnung?
    Die Taxonomie-Verordnung schafft erstmals einen einheitlichen Klassifizierungsrahmen (Taxonomie) für ökologische, also nur das E von ESG betreffende, Wirtschaftsaktivitäten, um damit den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition ermitteln zu können. An einem Klassifizierungsrahmen für soziale Belange und Belange unternehmerischer Verantwortung arbeitet der EU-Gesetzgeber derzeit noch.

    Zur Verwirklichung oben genannter „Umlenkung“ privatwirtschaftlicher Geldflüsse setzt die Taxonomie auf allen drei oben beschriebenen Ebenen an. Sie ergänzt bestehende Informationspflichten gegenüber Anlegern, damit diese Informationen zur Nachhaltigkeit der Wirtschaftstätigkeit erhalten (Ebene 1), und gibt Kriterien vor, nach denen die Nachhaltigkeit eines Anlageprodukts bzw. einer Investition bewertet werden muss (Ebene 2). Die die Taxonomie-Verordnung ergänzende Delegierten Verordnung (EU) 2021/2139 legt technische Bewertungskriterien für verschiedene Branchen, unter anderem für die Immobilienbranche, fest, anhand derer die Nachhaltigkeit einer Wirtschaftstätigkeit bestimmt wird (Ebene 3).

    Was bedeutet die Taxonomie-Verordnung für die Immobilienbranche?
    Die Taxonomie-Verordnung gilt unmittelbar zwar nur für Finanzmarktteilnehmer, die Finanzprodukte bereitstellen (also z.B. für die den Immobilienfonds auflegende KVG), sowie für große Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden. Indirekt hat sie aber auch Auswirkungen auf z.B. Immobilien-Projektentwickler und Hersteller von Bauprodukten.
    Der Kauf, Bau oder die Renovierung einer Immobilie stellt eine Wirtschaftstätigkeit im Sinne der Taxonomie-Verordnung dar. Für die Frage, ob z.B. die von einem Projektentwickler entwickelte Immobilie als nachhaltig qualifiziert, werden die Kriterien der Taxonomie-Verordnung und der Delegierten Verordnung (EU) 2021/2139 herangezogen. Diese Einordnung hat dann wiederum Auswirkungen auf die Frage, ob die Immobilie tauglicher Anlagegegenstand für z.B. einen nachhaltigen Immobilienfonds ist.
    Projektentwickler werden daher zukünftig angehalten oder gar vertraglich verpflichtet werden, Angaben zur Nachhaltigkeit zu den Immobilien bzw. der verwendeten Bauprodukte zu machen und/oder Projekte entsprechend der Nachhaltigkeitsvorgaben der Taxonomie zu entwickeln (Ebene 3). Ein nachhaltiger Fonds kann die Immobilie dann ins Portfolio aufnehmen (Ebene 2) und Anleger können bewusst in diese nachhaltige (d.h. Taxonomie-konforme) Immobilie bzw. den Fonds investieren (Ebene 1).

    Praxisbeispiel: Einbau nachhaltiger Küchen- und Sanitärarmaturen
    Nach den technischen Bewertungskriterien richtet sich die Nachhaltigkeit einer Immobilie unter anderem nach den eingebauten Produkten, bspw. Küchen- und Sanitärarmaturen. Diese müssen ihrerseits als nachhaltig klassifiziert sein und mithin den detaillierten Vorgaben der Delegierten Verordnung (EU) 2021/2139 entsprechen. Um als nachhaltig zu gelten, dürfen demnach beispielsweise „Wasserhähne an Handwaschbecken […] einen maximalen Wasserdurchfluss von 6 Litern/min“ haben.

    Produkthersteller sollen die Einhaltung dieser Voraussetzungen durch eine in der Union bestehende Kennzeichnung bescheinigen. Diese Kennzeichnung ziehen Projektentwickler dann bei Bestimmung der Nachhaltigkeit der Immobilie in Betracht.

    Ausblick: Gibt es bereits ESG-Kennzeichnungen oder -Siegel für die Immobilienbranche?
    Eine Kennzeichnung, wie in der Delegierten Verordnung (EU) 2021/2139 vorausgesetzt, besteht für die allermeisten Produktkategorien im Bauwesen noch nicht. Auf gewisse Produkte findet das EU Ecolabel Anwendung. Zukünftig werden aber entsprechende Zertifizierungen entwickelt werden.

    Die viel Beachtung findende Entwicklung eines Labels für nachhaltige Anleihen (EU Green Bond Standard) hingegen soll für Anbieter von Unternehmensanleihen gelten (Ebene 2) und nicht unmittelbar eine Aussage über die Nachhaltigkeit eines Bauprodukts oder einer Immobilie treffen (Ebene 3). Dasselbe wird voraussichtlich für den Einführung eines Ecolabels für Finanzprodukte gelten.

    Fazit
    Die Taxonomie-Verordnung hat weitreichende Auswirkungen, nicht nur auf die Anbieter von Finanzprodukten, sondern auch auf die reale Immobilienwirtschaft. Die verstärkte Anlegernachfrage nach nachhaltigen Finanzprodukten dürfe Anreiz genug sein, sich mit den Vorgaben der Taxonomie-Verordnung im Detail auseinander zu setzen.

    Dieses Projekt wird mit den folgenden Brownfield Partnern realisiert