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    Interview mit Mohamed Gharbi von TAUW


    Brownfield24: Herr Gharbi, das Thema Flächenversiegelung spielt nicht nur in Deutschland eine Rolle sondern auch – und das wird oft ausgeblendet – in Europa eine bedeutende Rolle. Warum genau?
    Mohamed Gharbi: Wegen des stetig zunehmenden Urbanisierungsgrads in den 28 EU-Mitgliedsstaaten wächst auch die Nachfrage nach Grund und Boden in Europas schnell wachsenden Metropolen und ihrem Umland rapide. Aktuelle Zahlen zeigen, dass jährlich netto mehr als 400 km² Land in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt werden. Dabei handelt es sich vorwiegend um Agrarflächen, was angesichts der immensen Bedeutung gesunder Böden für Umwelt, Klimaschutz und Wirtschaft in der EU mehr als problematisch ist. Um diese Entwicklung zumindest zu bremsen, rückt die EU-Bodenstrategie deshalb jetzt die Begrenzung des Flächenverbrauchs und der Bodenversiegelung in den Vordergrund.

    Die EU-Bodenstrategie fordert von allen Mitgliedsstaaten, eine Flächenverbrauchshierarchie zu implementieren und so dem Recycling hochwertiger städtischer Böden auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene Vorrang einzuräumen. Entsprechend bieten die Revitalisierung und/oder Sanierung von Industriestandorten und kontaminierten Flächen europaweit große Chancen für die nachhaltige Entwicklung der urbanen Räume.

    Brownfield24: Lassen Sie uns über Zahlen sprechen – gibt es in Europa überhaupt genügend Brachflächen/Brownfields um sich mit diesem Thema so ausgiebig zu beschäftigen?
    Mohamed Gharbi:Absolut. Gerade in den genannten Metropolregionen gibt es ein erhebliches Potential. Gerade hier haben der industrielle Niedergang und veränderte Flächennutzungen dazu geführt, dass große Flächen innerhalb und nahe städtischer Gebiete mittlerweile brachliegen.
    Dafür liegt der aktuelle Anteil wiederverwendeter Flächen bei urbanen Flächenentwicklungsprojekten in der EU mit nur 13% noch deutlich zu niedrig. Hier besteht für die Zukunft eindeutig Handlungsbedarf.

    Natürlich sind die Planer bei der Wiederverwendung von Flächen mit anderen Herausforderungen konfrontiert als bei Entwicklungen auf der grünen Wiese. Beim Abriss von Gebäuden und der Entsiegelung von Böden auf ehemals industriell oder anderweitig genutzten Standorten können immer auch historische Schadstoffbelastungen von Bedeutung sein. 2018 schätzte zum Beispiel die Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission, dass es in den Mitgliedstaaten der EU rund 2,8 Millionen potenziell kontaminierte Standorte gibt, von denen aber nur etwa 690 000, also ein knappes Viertel, auch offiziell registriert sind.

    Brownfield24: Bei Brownfield Entwicklungen kommt unweigerlich immer das Thema Kosten mit ins Spiel. Aber wo genau lauern die Fallstricke und wie lassen sich die Kosten bestmöglich planen?
    Mohamed Gharbi: Das ist vollkommen richtig und steht oft im Zusammenhang mit den eben genannten möglichen Schadstoffbelastungen des Untergrunds. Nachträglich festgestellte, zunächst nicht bekannt gewesene Kontaminationen und Expositionsrisiken können zu ganz erheblichen Bauverzögerungen, Budget-Erhöhungen und im schlimmsten Fall dazu führen, dass errichtete Gebäude nicht oder nicht ohne Weiteres der geplanten Nutzung übergeben werden können. Auch längerfristige Haftungsrisiken sind dann nicht ausgeschlossen, denn gesundheitliche Auswirkungen können unter Umständen erst Jahre später auftreten –möglicherweise sogar nach erfolgter Sanierung, wenn diese auf Grundlage unvollständiger oder fehlerhafter Untersuchungsergebnisse oder Risikobewertungen geplant wurde.

    All diese Dinge gilt es natürlich durch sorgfältige Projektplanung und -vorbereitung auszuschließen. Bereits zu Beginn des Ankaufprozesses aber auch später im Rahmen der Planungsphase zur Neuentwicklung kommt einer sorgfältigen und detaillierten Standortuntersuchung/-bewertung eine zentrale Rolle zu.

    Brownfield24: Ein Thema welches gerne unterschätzt wird, ist das der Intrusion. Was hat es damit auf sich?
    Mohamed Gharbi: Flächenrecycling-Projekte sind gerade im urbanen Raum oft extrem komplex. Das erhöht die Gefahr, potenzielle Umweltrisiken zu übersehen oder falsch zu bewerten. Dazu gehört die sogenannte „Intrusion“ bzw. Bodengas-Intrusion, das heißt die Migration gasförmiger Schadstoffe aus dem Untergrund in darüber befindliche Gebäude. Bekannt ist, dass leicht flüchtige organische oder chlororganische Substanzen, wie das früher in zahlreichen industriellen Prozessen und in Wäschereibetrieben verwendete Tetrachlorethen, heute aus entsprechenden Verunreinigungen des Bodens oder des Grundwassers in die Bodenluft übergehen und dann über konstruktive Schwachstellen in die Innenraumluft von Gebäuden gelangen.

    Eine frühzeitige Berücksichtigung potenzieller Intrusionsszenarien ist bereits während der Standortbewertung (Phase I und II Environmental Site Assessment, geotechnische Untersuchungen) anzustreben. Bei einer frühzeitigen Identifizierung einer Gefährdung können nämlich relativ kostengünstige Techniken in Planung und Bau neuer Gebäude integriert werden, die das Risiko einer Gasintrusion sicher eliminieren. Muss man dieselben oder gleichwertige Maßnahmen jedoch später nachrüsten, führt das in aller Regel zu sehr erheblichen Mehrkosten, zu Nutzungseinschränkungen oder im schlimmsten Fall auch zu Haftungsschäden.

    Brownfield24: Was ist mit dem Thema Kampfmittel – eigentlich eine Standarduntersuchung im Zuge einer Brownfield Entwicklung, oder?
    Mohamed Gharbi: Ähnlich wie Boden- und Grundwasserbelastungen bedeuten Kampfmittel für den Investor oder Bauherrn kaum kalkulierbare finanzielle Risiken, sofern keine sorgfältige und frühzeitige Planung und Abstimmung mit allen Projektbeteiligten durchgeführt wird.
    Die möglicherweise entstehenden Kosten zur Herstellung einer „Kampfmittelfreiheit“ werden im Vorfeld einer Investition häufig falsch eingeschätzt. So kommt es nicht selten zu Fehlentscheidungen im Hinblick auf die Realisierung der Gesamtmaßnahme.

    Aufgrund von fehlendem Know-how, unklaren Zuständigkeiten, mangelnder Ausstattung der Räumdienste sowie unterschiedlicher Qualitätsanforderungen können Probleme bei der zielorientierten Planung und Ausführung von vorlaufenden Gefahrenbeurteilungen und Baumaßnahmen entstehen. Um eine Gefährdung des Flächenrecyclings und der Altlastenbearbeitung zu vermeiden, ist die Flächennutzungspolitik zu priorisieren und der politische Handlungsrahmen muss das Zusammenwirken unterschiedlicher Akteure erleichtern. Um das Thema Kampfmittel besser in den Griff zu bekommen wurden zum Beispiel seitens des ITVA Empfehlungen ausgesprochen und Forderungen gestellt. Unter anderem wurde verlangt, das Thema Kampfmittelerkundung und -räumung genauso wie Baugrund, Bodenschutz und Altlasten etc. schon frühzeitig in der Flächennutzungsplanung und im Bauplanungsprozess zu berücksichtigen und länderübergreifend eine vereinheitlichte Vorgehensweise zu implementieren.

    Brownfield24: Vlt.noch abschließend: auf welchen spannenden Baustellen sind Sie derzeit aktiv bzw. an welches Projekt denken Sie gerne zurück?
    Mohamed Gharbi: Wir sind gerade dabei einen unserer Kunden aus dem Chemiesektor bei der nachhaltigen Umgestaltung seines Standortes zu unterstützen. TAUW wurde als Generalplaner für mehrere Umweltaktivitäten im Zusammenhang mit der Umgestaltung des Standortes beauftragt. Ziel des Projektes ist es, neue Anlagen unter Berücksichtigung nachhaltiger Aspekte zu installieren. Die TAUW Leistungen umfassen Genehmigungsmanagement, geotechnische, hydrogeologische und geophysikalische Bewertungen, topographische Vermessungen, Detektion unterirdischer Versorgungsleitungen mittels Drohnen und Kampfmitteluntersuchungen. Als weitere Leistungen sind Umweltverträglichkeitsprüfungen einschließlich Biodiversitätsstudien Teil der Antragsgenehmigung und werden in weiteren Schritten von TAUW durchgeführt. Dieser Auftrag zeigt einmal mehr, dass wir mit einem integralen Ansatz am Markt erfolgreich sein können und dass die Kombination von technischen und beratenden Dienstleistungen mit dem Fokus auf Umwelt und Nachhaltigkeit unsere Kunden überzeugen.

    Dieses Projekt wird mit den folgenden Brownfield Partnern realisiert