Expertenblog

    Interview mit Lisa Lamm-Winking, Teamleiterin Projekt- und Immobilienberatung bei Lehmann Consult


    Lehmann Consult ist ein technisch-wirtschaftliches Beratungsunternehmen für die Bau- und Immobilienbranche. Das mittelständige Unternehmen betreut Projekte mit eigenen Architekten und Ingenieuren über den gesamten Lebenszyklus der Immobilie. 2003 gegründet beschäftigt Lehmann Consult rund 35 Mitarbeitende und betreut Kunden in ganz Deutschland. Lisa Lamm-Winking ist seit mehr als fünf Jahren als Senior Consultant Projekt- und Immobilienberatung bei Lehmann Consult in Köln beschäftigt und verantwortet den Bereich Nachhaltigkeit im Unternehmen. Wir haben mit Frau Lamm-Winking zum Thema Nachhaltigkeit und ESG gesprochen.

    Brownfield24: Frau Lamm-Winking, wie kamen Sie zum Thema Nachhaltigkeit?
    Lisa Lamm-Winking: Das Thema Nachhaltigkeit war während meines Architekturstudiums lediglich ein Randthema, dem leider viel zu wenig Beachtung geschenkt wurde.
    Im Laufe der Jahre kam ich als Projektarchitektin in verschiedenen Architekturbüros immer wieder mit dem Thema Nachhaltigkeit in Berührung. Es war ein deutlicher Aufwärtstrend bei der Nach-frage hinsichtlich nachhaltiger Gebäude ablesbar.
    Bei Lehmann Consult wurden diese Nachfragen und Anforderungen seitens der Auftraggeber dann konkreter. Wir wurden mit einer Vielzahl an Projekten mit Nachhaltigkeitsaspekten wie der Entwicklung einer funktionalen, zur Mehrfachzertifizierung (DGNB) geeigneten Baubeschreibung für einen Einzelhändler bis hin zur Begleitung zertifizierter (DGNB, LEED) Neubauprojekte beauftragt.
    Als dann vor etwas mehr als zwei Jahren beschlossen wurde, dass Lehmann Consult eine eigene Einheit zum Thema Nachhaltigkeit aufbauen möchte, war für mich schnell klar, dass ich mich dort gezielt einbringen und dahingehend weiterbilden möchte.

    Brownfield24: Lehmann Consult bietet ganzheitliche Dienstleistungen rund um die Immobilie an. Wie kann das Leistungsbild im Hinblick auf Nachhaltigkeitsthemen kurz und knapp umrissen werden?
    Lisa Lamm-Winking: Wir verstehen uns als ganzheitlichen Berater, der dem Auftraggeber in allen Lebenszyklusphasen seiner Immobilien zur Seite steht. Die verschiedenen Aspekte der Nachhaltigkeit haben Einfluss auf alle Lebenszyklusphasen der Gebäude und somit auf unsere Arbeit, da Nachhaltigkeit nicht auf bestimmte Phasen, zum Beispiel die Planungsphase, beschränkt werden kann. Im Zuge eines An- oder Verkaufs wird die sogenannte ESG Due Diligence immer wichtiger. Investoren möchten heute über den aktuellen Status Quo der Immobilie in Hinblick auf ESG Themen in-formiert sein und gleichzeitig wissen, wann und in welchem Bereich ein Handlungsbedarf entsteht – Stichwort Dekarbonisierung. Die hieraus resultierenden Ergebnisse können dann zur nachhaltigen Ausrichtung des Gebäudebetriebs verwendet werden. Hier beraten wir hinsichtlich sinnvoller Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen, um ein gängiges Beispiel zu nennen, die energetische Ertüchtigung der Gebäudehülle oder die Implementierung effizienterer Haustechnik. Im Zuge der Umsetzung begleiten wir diese Maßnahmen dann im Anschluss.
    Daneben nimmt der Bereich Neubau einen großen Anteil ein. Hier begleiten wir Neubauvorhaben von Beginn der Planung an und beraten den Bauherren unter anderem bei der Auswahl des passenden Zertifizierungssystems und bei der, dem Zertifizierungssystem entsprechenden, Definition der erforderlichen Maßnahmen und Pflichten während der Planungs- und Bauphase. Im Anschluss erstellen wir die Ausschreibung für die Zertifizierungsleistungen und begleiten die Zertifizierung und Baumaßnahme bis zur Übergabe des Zertifikats an den Eigentümer.

    Brownfield24: Welche Auswirkungen hat die Thematik ESG und Nachhaltigkeit im Allgemeinen auf Brownfield Entwicklungen?
    Lisa Lamm-Winking: Grundsätzlich ist es so, dass man sich dem Thema Brownfield auf zwei Arten nähern kann. Variante A ist die Revitalisierung und ggf. Umnutzung der Immobilie, Variante B der Abriss und Neubau. Eine pauschale Aussage, welche Variante aus einem wirtschaftlichen und nachhaltigen Gesichtspunkt mehr Sinn ergibt, ist nicht seriös möglich. Wir empfehlen hier, Nachhaltigkeitsaspekte direkt auch in Machbarkeitsstudien einfließen zu lassen. Hierbei muss man selbstverständlich die Anforderung des Nutzers sehen: Soll anhand des Bestandes eine mögliche Nutzung eruiert werden oder soll eine bestimmte Nutzung auf ihre Machbarkeit in der Immobilie untersucht werden. Eine Logistiknutzung wird man selbstverständlich nur schwierig in einem bestehenden Bürogebäude umsetzen können. Gemein ist beiden Varianten jedoch ein positiver Effekt, die Reduzierung zusätzlicher Flächenversiegelung durch Aktivierung ungenutzter Areale bzw. Gebäude.

    Brownfield24: Sie sprechen die Revitalisierung und Umnutzung von Bestandsimmobilien als eine Herangehensweise an. Warum ist hier ein Umdenken wichtig?
    Lisa Lamm-Winking: Die in Kraft getretenen Gesetze und Verordnungen z.B. zum EU Green Deal, zur EU-Taxonomie, um nur zwei der vielen Maßnahmen der EU zu nennen, verlangen ein Umdenken der gesamten Immobilienbranche in Bezug auf die Langfristigkeit von Gebäuden und Arealen. Brownfields bergen meiner Ansicht nach daneben ein großes Potential, unsere Baukultur neu auszurichten bzw. in Teilen zu erhalten. Neben der Einsparung von Flächen und Ressourcen zur Förderung des Klimaschutzes kann so auch unsere (Bau-)Kultur erhalten werden.
    Nun ist nicht jedes Brownfield, nicht jede Bestandsimmobilie geeignet, eine Revitalisierung des Bestands oder eine Sanierung oder eine Umnutzung durchzuführen. Hier kommt dann zum Beispiel eine ESG-DD ins Spiel. Über die Bestandsaufnahme und Untersuchung im Rahmen der Due Diligence ist es möglich, die Chancen und Risiken der Immobilie zu lokalisieren. Mit einer darauf aufgesattelten Machbarkeitsstudie können bereits in einer frühen Projektphase Maßnahmen und auch daraus resultierende Kosten ausgemacht werden. Resultiert hieraus der Abbruch und Neu-bau auf der Fläche, sollten frühzeitig entsprechende Nachhaltigkeitsmaßnahmen implementiert werden. Dies beginnt bei der Untersuchung des Bestands auf Wiederverwertbarkeit von Bauteilen und -stoffen bis hin zur umfänglichen Dokumentation der Entsorgung und Recycling des Abbruchmaterials. Die EU-Taxonomie z.B. führt als Kriterium hier 70 % Recyclingquote nicht belasteter Materialien auf, was ohne entsprechende Dokumentation nicht nachweisbar ist.

    Brownfield24: Als Dienstleister unterstützen Sie Bauherren auch im Zuge von Zertifizierungen. Gibt es hier Besonderheiten in Hinblick auf Bestandsgebäude, die zu beachten sind?
    Lisa Lamm-Winking: Die größte Herausforderung in Bezug auf die Untersuchung und im Besonderen die Zertifizierungen von Bestandsgebäuden ist definitiv die Datenlage. Diese ist meistens mehr als lückenhaft, wenn überhaupt vorhanden. Hier ist die Unterstützung und Bereitschaft auch seitens des Property Managements, des Eigentümers oder des Mieters gefragt. Ohne diese ist eine Aufnahme und Bewertung des Bestandes so gut wie nicht möglich. Hier ist es auch unsere Aufgabe, das Verständnis zu stärken, dass diese ungeliebte Vorarbeit der Dokumentenbeschaffung und Digitalisierung auch einen langfristigen Zweck verfolgt: die Daten auch für die Gebäudebewirtschaftung, einen zukünftigen Verkauf etc. abrufbar zu machen.
    Grundsätzlich ist es so, dass beispielsweise von der DGNB und BREEAM eine Zertifizierungssystematik u.a. für Bestandsgebäude existiert. Anhand dieser können Immobilien entsprechend des aktuellen Status Quo, aber auch im Zuge von Sanierungen, Umbauten oder Modernisierungen bewertet und zertifiziert werden. Die Erfahrung zeigt, dass durch die Umsetzung von werterhaltenden bzw. für die Anschlussnutzung und Vermietung erforderlichen Maßnahmen, unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsaspekte, eine Zertifizierung möglich ist. Das Potential der Immobilie lässt sich schnell und wirtschaftlich über einen Pre-Check ermitteln.
    Darüber hinaus stehen wir beratend zur Seite, wenn es um die Durchführung von Konformitätsprüfungen im Hinblick auf ESG, die Klimaneutralität bis 2050 oder die EU-Taxonomie geht. Hier ist aktuell die größte Herausforderung, die diversen Anforderungen und Auflagen in Einklang zu bringen und auf dem neusten Stand zu sein.

    Brownfield24: Stichwort DGNB & BREEAM. Inwiefern berücksichtigen diese Zertifizierungen – zumindest in Deutschland – das Thema Boden? Wenn ich Nachhaltigkeit ganzheitlich denke, dann müsste dies doch auch mit in die Bewertung einfließen.
    Lisa Lamm-Winking: Um den Besonderheiten und den speziellen Anforderungen von Brownfields gerecht zu werden, gibt es aktuell keine international vergleichbaren Standards oder Zertifizierungen. Eine Zertifizierung nach DGNB beispielsweise geht aktuell leider nicht explizit auf die Revitalisierung von Brownfields ein, auch wenn u.a. die Sanierung des Baugrunds mit in die Bewertung einfließt. Hier wäre ein Standard wünschenswert, der die Besonderheiten berücksichtigt und auch hervor-hebt. Grundsätzlich bieten diese nach unserer Einschätzung eine enorme Chance im Zusammenhang mit der nachhaltigen Flächenentwicklung und damit der Reduzierung der Flächenversiegelung. Wir sind gespannt auf die zukünftigen Entwicklungen und Fortschritte.