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    Interview mit Jan Knikker, Partner und Leiter Strategy & Development bei MVRDV


    MVRDV wurde 1993 von Winy Maas, Jacob van Rijs und Nathalie de Vries in Rotterdam in den Niederlanden gegründet. Die 250 Architekten, Designer und Stadtplaner des international renommierten Unternehmens entwickeln weltweit bahnbrechende Projekte im Rahmen eines multidisziplinären Designprozesses, in den rigorose technische und kreative Forschung einfließen. Wir haben mit Jan Knikker, Partner und Leiter Strategy & Development, darüber gesprochen, welche Rolle Brownfields beim Städtebau der Zukunft spielen.

    B24: Lieber Jan Knikker, bitte sagen Sie kurz etwas zum Hintergrund von MVRDV.

    Jan Knikker: MVRDV ist ein Architektur-, Landschaftsarchitektur- und Städtebaubüro, das die hochqualitative Verdichtung der Stadt durch bemerkenswerte, soziale und nachhaltige Projekte ambitioniert. Wir haben unseren Hauptsitz in Rotterdam, sind darüber hinaus auch in Shanghai, Paris und ab Mai 2020 in Berlin sesshaft.

    B24: Das Thema Fläche, Flächenbedarf und Stadtwachstum wird weltweit in den Ballungsgebieten eine immer wichtigere Rolle spielen. Nur weiß keiner so recht, wo die Flächen herkommen sollen. Somit wird das Thema Flächenrevitalisierung, Flächenreaktivierung und Brownfields ein eminent wichtiges Thema. Welche Chancen entstehen daraus für die Stadtentwicklung?

    Jan Knikker: Es ist eine riesige Chance und auch die einzig verantwortliche Herangehensweise. Erfolgreiche Städte sind meist auf dem fruchtbarsten Land errichtet. Dieses weiter zu bebauen ist extrem unverantwortlich. Brachen in der Stadt hingegen sind ein zwar schwieriges, aber logisches Entwicklungspotential.
    In den Niederlanden hat man in den 1990er-Jahren im nationalen VINEX Programm die Städte auf die grüne Wiese erweitert. Inzwischen gibt es einen Konsens, dass das eine sehr schlechte Idee war. Dort sind monotone Vorstädte entstanden und unglaublich viele Verkehrsprobleme. Danach hat man sich entschieden die Stadt zu verdichten und vor allem Brownfields zu revitalisieren.
    Allerdings ist das deutlich schwieriger. Es braucht mehr Durchsetzungsvermögen und schnelles Agieren der Kommunen und Investoren. Das Ergebnis ist allerdings unglaublich attraktiv. Die Stadtviertel haben Charakter, weil es vor Ort eine gebaute Geschichte gibt, und die Lagen sind oft sehr reizvoll, zum Beispiel direkt am Wasser oder in Innenstadtnähe.

    B24: Alle reden immer nur vom Wohnen und vergessen dabei den Bedarf für Gewerbe. Gewerbe ausschließlich in das Umland zu verlagern, hilft nicht dabei, eine nachhaltige Mobilitätsstruktur zu erreichen. Wie kann es gelingen, dass Wohnen, Arbeiten und Freizeit – gerade in den großen Metropolen – auch auf großen ehemaligen Industriebrachen möglich ist? Gibt es dazu in Ihrem Unternehmen Beispiele oder Visionen?

    Jan Knikker: Es ist erstaunlich, wie wir es verlernt haben, die Stadt zu durchmischen. Gerade heute, wo wir mit Schallschutz und wenig geräuschintensiven Tätigkeiten arbeiten können, ist die Mischnutzug der Stadt ein Rezept, um die Stadt erfolgreich zu machen: statt Schlafstadt eine 24/7-Nutzung in belebten Stadtvierteln. Die Idee der getrennten Bürostadt und Schlafstadt erschafft städtische Ödnis.
    Unser Büro plant gerade als Städtebauer auf dem Gelände eines alten Bahnhofs und einer Kaserne in Bordeaux auf 35 Hektar 3.200 Wohnungen. Im Erdgeschoss befinden sich auf 40.000 m2 Einzelhandels- und Handwerksbetriebe sowie 58.000 m2 für kulturelle und gastronomische Angebote. Alles durchmischt und mit der Ambition geschaffen, das Weltkulturerbe der Altstadt von Bordeaux neu zu erfinden. Die Qualität bleibt dieselbe, aber mit besseren Lichtverhältnissen und mehr Natur und Nachhaltigkeit. Dieses Projekt reagiert auch auf Mériadeck, ein Geschäftsviertel in Bordeaux, das in den 1960er-Jahren als Stadt der Zukunft geschaffen wurde, inzwischen aber mit seiner Funktionstrennung als gescheitert angesehen wird.

    B24: Welche aktuellen Revitalisierungsflächen beackern Sie derzeit in Deutschland und was ist das spannendste Brownfield-Projekt, welches Sie bisher begleitet haben?

    Jan Knikker: Wir dürfen im Hafen von Mainz bauen und auf einem alten Fabrikgelände in der Weststadt von Esslingen. Außerdem haben wir vor kurzen auf dem ehemaligen Pfanni-Gelände am Münchener Ostbahnhof ein wirklich spannendes Gebäude, das Werk 12, eröffnet. Es handelt sich um ein multifunktionales Gebäude mit doppelten Geschossen und durchgehenden, breiten Balkonen auf allen Etagen.
    Als Städteplaner arbeiten wir außerdem an den alten BUFA Studios in Berlin-Tempelhof, um daraus einen nachhaltigen Distrikt mit Mischnutzung zu machen. Sehr spannend ist auch »KoolKiel«. Auf dem Gelände, auf dem früher die Werner-Comics gedruckt wurden, entsteht ein innerstädtischer Bezirk mit Kreativwirtschaft, Büros, Kombinationen von Wohnen und Arbeiten, Geschäften, zwei Hotels und einem Konferenzzentrum. Das alles auf 65.000 m2 und teilweise im Holzbau realisiert. Das ist eine hochverdichtete, spannende und lebendige Mischnutzung, die eine neue Urbanität feiert.