Expertenblog

    Die fossile Seekuh von Ratingen


    PRESSEMITTEILUNG unseres Premiumpartners Köster GmbH:

    Bodendenkmalpflege mit Win-Win-Effekt

    Einen spektakulären Fund machten zwei Geologen im Januar 2019. Bei der Routinebegehung einer Köster-Baustelle im nordrhein-westfälischen Ratingen entdeckten sie Knochenreste aus einer Zeit lange vor unserer Zeit. Dr. Stephan Becker und Daniel Schrijver vom Geologischen Dienst NRW handelten entschlossen: Baustopp für die Arbeiten an diesem Abschnitt der Baugrube. Glück für die Forscher, Pech für den Bauherrn? Im Gegenteil: Der beherzte Einsatz aller Beteiligten sorgte für eine reibungslose Bergung. Heute begeistert der Fund die Wissenschaftler und Öffentlichkeit gleichermaßen.

    Wie die Seekuh durchs Rheinland schwamm

    Die Anzeichen für eine paläontologische Sensation verdichteten sich nach dem Fund rasch. Heute ist klar: Es handelt sich um die versteinerten Überreste einer Seekuh. „Vor 28 Millionen Jahren lebte das Tier hier in einem küstennahen Flachmeer unter subtropischem Klima“, weiß Christoph Hartkopf-Fröder, Paläontologe und Leiter des Fachbereichs Kartierbegleitende Untersuchungen beim Geologischen Dienst NRW. Wie weite Teile des westlichen Nordrhein-Westfalens war Ratingen in dieser Epoche von Wasser bedeckt – der heutigen Nordsee. Deshalb fanden die Forscher neben Muscheln und Korallen beispielsweise auch Haizähne. „Die in Ratingen freigelegten Knochen sind von Seepocken besiedelt und müssen daher monatelang auf dem Meeresboden gelegen haben“, so der Forscher. „Die zahlreichen Überreste beweisen, dass es hier ein sehr artenreiches Ökosystem gab. Es ist jetzt unsere Aufgabe, auch den maritimen Lebensraum der Seekuh zu rekonstruieren und weitere Schlüsse daraus zu ziehen.“

    Der Fund sei vor allem auch deshalb relevant, weil bislang wenig über diese Spezies bekannt sei, sagt Dr. Oliver Hampe, Spezialist für fossile Meeressäuger am Museum für Naturkunde in Berlin. „Die Ratinger Seekuh gehört zu den wenigen gut erhaltenen Zeugnissen dieser Fossilgruppe im Rheinland. Hier könnten die Überreste wichtige Hinweise liefern. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir es hier mit einer ganz neuen Art zu tun haben.“ Heute gibt es noch vier Arten der Meeressäuger, die alle in flachen, tropischen Gewässern in der Karibik, in Ost- und Westafrika sowie in Südostasien leben. Viele Fragen zu der Entstehung und den Ausprägungen der unterschiedlichen Seekuh-Arten sind noch ungeklärt. Auch hier erhoffen sich die Forscher aufschlussreiche Erkenntnisse durch den Ratinger Fund. Schließlich sind die letzten Seekuh-Funde vor etwa 30 Jahren geborgen worden.

    Keine Verzögerungen auf der Baustelle

    „Wenn Archäologen, Paläontologen oder Geologen eine Baustelle betreten, runzeln Bauherren und Baufirmen häufig die Stirn. Solange unklar ist, wie viel Zeit die Sondierung und Bergung von Funden einnimmt, gibt es häufig Vorbehalte. Die Beteiligten stellen sich die Frage, ob die geplante Bauzeit eingehalten werden kann“, berichtet Hartkopf-Fröder aus eigener Erfahrung. Schließlich können auch unverschuldete Bauzeitverzögerungen zu Unzufriedenheit bei Mietern oder Käufern und natürlich zu wirtschaftlichen Einbußen bei der Eigennutzung führen. Im Gegensatz zu Kampfmittelfunden, deren Ausmaß in der Regel kalkulierbar ist, sei für die Beteiligten zunächst schwer absehbar, wie lange eine Untersuchung andauert.

    In der Paläontologie können wir diese Vorbehalte rasch rausräumen. Auch die Bergung der Seekuh-Überreste von Ratingen war ein Paradebeispiel für die effektive Zusammenarbeit von Paläontologen, Archäologinnen und Archäologen, der Baufirma Köster und dem Bauherrn. Alle haben vorbildlich Hand-in-Hand gearbeitet.

    Während der Bergung unterstützte das Team um Köster-Projektleiter Christian Heynen die Geologen. „Unsere eigene Arbeit wurde durch die Wissenschaftler in keiner Weise behindert. Wir konnten die Aushubarbeiten der Baugrube kurzfristig umstellen und aktiv unterstützen, das Material zu bergen, so dass es zu keinen zeitlichen Verzögerungen kam“, sagt der Bauingenieur aus dem Kompetenz-Center Spezialtiefbau. Die Experten von Köster setzen auf transparente Bauprozesse zur Realisierung von Bauvorhaben. Sie ermöglichen die rasche Anpassung an geänderte Gegebenheiten vor Ort.

    Konkret haben wir unsere Gründungsarbeiten in enger Abstimmung mit dem Kunden und mit allen Beteiligten auf der Baustelle in einen anderen Bereich verlagert. Gleichzeitig konnten wir die Forscher mit einem Bagger dabei unterstützen, die Funde zu transportieren. Für den Kunden bedeutete das einen stabilen Bauablauf mit weiterhin sicherem Fertigstellungstermin.

    Der Zahn im Gestein

    Dank der professionellen und tatkräftigen Unterstützung durch die Baufirma haben wir in kurzer Zeit drei Tonnen Material aus dem Baufeld geborgen. Weil die Baustelle ordnungsgemäß gesichert war und die Bergung rasch vonstatten ging, hatten wir keinen Grund zu vermuten, dass private Sammler sich unberechtigt Zutritt verschaffen und unsere Untersuchungen stören würden.

    • Christoph Hartkopf-Fröder, Paläontologe und Leiter des Fachbereichs Kartierbegleitende Untersuchungen beim Geologischen Dienst NRW

    Untersucht werden konnten von dem Material bislang rund 800 Kilogramm. Von der Seekuh wurden Rippen, Wirbelfragmente und kleinere Knochenstücke geborgen. Deren Präparation erfolgte am Ruhr Museum in Essen. Das Sediment des Fundhorizontes und seiner Umgebung wird derzeit beim Geologischen Dienst NRW eingehend untersucht. Die Forscher bereiten es im Labor auf, isolieren die Fossilienreste und analysieren sie. Ein komplexer Prozess: „Die Gewinnungsphase wird etwa noch ein halbes Jahr andauern“, so Hartkopf-Fröder.

    „Ein wichtiger Fund fehlt außerdem noch“, betont Hartkopf-Fröder, „Extremitäten, ein Zahn oder der Schädel einer Seekuh.“ Diese könnten wertvolle Hinweise zur Bestimmung der Seekuh-Art geben. Hier setzen die Forscher Ihre Hoffnungen auf mögliche weitere Funde im Rahmen der noch bevorstehenden Bauarbeiten rund um das bereits sondierte Baufeld. Beispielsweise könnten Haie die Knochen innerhalb des Areals verstreut haben. „Wir sind sensibilisiert und werden die angrenzenden Baufelder in Zukunft besuchen. Aber auch hier braucht niemand Sorge haben. Wir werden versuchen, die Interessen aller Beteiligten zusammenzubringen und gemeinsam gute Lösungen für die Sondierung und Bergung möglicher Funde erarbeiten.“

    Bildquelle: Geologischer Dienst NRW
    Grafik: Denise Seimet